100 Jahre Muttertag: „Elterntag“ statt Muttertag

„Moralisch am Haken – 100 Jahre Muttertag in Deutschland“ textet der STERN. Seit Jahren schon die gleiche Leier in den Medien: der Muttertag ist nicht mehr zeitgemäß. Den Muttertag einfach einstampfen – und das war´s dann?

Zweifellos, der Muttertag ist in die Jahre gekommen und auf Abwege geraten. Dennoch begrüßt der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV e.V.)  den Muttertag als willkommenen Anlass, die Mutterrolle zu überdenken und somit auch den Gedenktag umzudeuten.

"Ich glaube, wir sollten aus dem Muttertag einen Elterntag machen. Das drückt aus, dass Mutter und Vater für die Kinder gemeinsam Verantwortung übernehmen müssen. So kann auch der Vatertag sinnvoll mit dem Elterntag zusammengelegt werden. Elterntag als Tag des gegenseitigen Respekts, der gemeinsamen Solidarität und des gemeinsamen Handelns. Das sind besonders für Trennungseltern erstrebenswerte Verhaltensmaximen“, sagt die ISUV-Vorsitzende Melanie Ulbrich und betont: „Der Elterntag sollte nicht auf Geschlechterrollen reduziert werden, sondern solidarisches Elternverhalten betonen.“

Muttertag Marketing

ISUV kritisiert, dass der Muttertag primär zu einem Marketing-Event geworden ist.
Schaut man sich an, wer am Muttertag verdient, sind es die Mütter eher nicht. Laut Handelsverband Deutschland geben die Deutschen allein für Blumen 230 Millionen Euro aus. Kosmetik und Parfüm, Süßigkeiten oder Schmuck kommen noch obendrauf. Laut einer Umfrage sollen am Muttertag für Blumen, Süßigkeiten, Restaurantbesuche und Freizeitaktivitäten mehr als eine Milliarde Euro ausgegeben werden. Der Muttertag ist damit ein wichtiger Umsatzgarant. „Wer am Muttertag rüttelt, muss ein Äquivalent schaffen, mit dem sich die betroffenen Blumenhändler und Dienstleistungsbetriebe arrangieren können“, merkt Ulbrich an.

Muttertag Hintergründe

Ungewohnt pathetisch definiert auch Wikipedia: „Der Muttertag ist ein Feiertag zu Ehren der Mutter und der Mutterschaft.“ Mehr kritische Distanz ist angesagt, denn der Muttertag hat in Deutschland eine ambivalente Tradition. Zuerst wurde er unpolitisch wie weltweit ausschließlich kommerziell 1922/23 durch den Verband der Blumengeschäftsinhaber als „Tag der Blumenwünsche“ eingeführt. Die Nazis erklärten den Muttertag zum Feiertag, zum „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“. Praktisch bedeutete dies dann, die Mutter sollte möglichst viele Kinder gebären, dafür wurde ihr dann das „Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“ verliehen.

Das Bild von der Mutter war in Deutschland schon vor Einführung des Muttertages geprägt. Es ist ein Mythos, der sich über die Jahrhunderte bildete und der auch heute noch bewusst oder unbewusst gepflegt wird. „Kein Herz kann lieben wie ein Mutterherz.“, dichtete Friedrich von Bodenstedt im 19 Jahrhundert. Adelbert von Chamisso  setzte da noch einen drauf: „Nur eine Mutter weiß allein, was lieben heißt und glücklich sein.“ Dieser Müttermythos mag im Kopf so manches Gutachters oder Familienrichters auch heute noch mitschwingen.

Die Rolle der Mutter sollte sachlich nüchtern gesehen werden. Die ISUV-Vorsitzende Ulbrich hebt hervor: „Moderne Mütter suchen Erfüllung in Beruf und Familie. Glück, d.h. Kinder, Beruf, Partner, eine harmonische ausgewogene Glücksvorstellung, die vorbildlich für alle Eltern, Mütter und Väter sein sollte. Das kann auch Botschaft eines Elterntages sein.“

Im Übrigen wollte die „Erfinderin des Muttertages“, die kinderlose Amerikanerin Anna Jarvis ihn gleich wieder abschaffen, als sie sah, wie er kommerzialisiert und entpolitisiert wurde. Sie verfolgte mit dem Muttertag politische Ziele der Frauenbewegung, der ihre Mutter angehörte. Jarvis ging es um Gleichberechtigung, um die Einführung des Stimmrechts für Frauen. Ironie des Schicksals: Jarvis verarmte, ihren Platz im Altenheim zahlte der Floristenverband.

Mütter „moralisch am Haken“?

Auf Müttern laste noch immer sehr stark die gesellschaftliche Erwartung, sie hätten kindzentriert zu sein, sonst seien sie keine guten Mütter, meint die vielzitierte  Elternforscherin Désirée Waterstradt. Sie kritisiert, dass der Muttertag dies befördere. „Eltern können Erziehung gemeinsam regeln. Für Kinder ist das äußerst wünschenswert, denn so können sie von den unterschiedlichen Kompetenzen und Stärken ihrer Eltern profitieren “, stellt Melanie Ulbrich fest. „Gesellschaftlich muss die paritätische Aufteilung von Erziehungsarbeit als normal angesehen werden, das nimmt viel Druck von den Müttern.“

Ersatz oder Abschaffung?

Die teils heftige ideologische Diskussion um den Muttertag erstaunt. Traditionelle Vorstellungen werden wieder aufgegriffen: Die Mutter wird zu „Kinderkriegerin“, deren „Mutterliebe blind“ macht, daher selbstlos, vorbehaltlos ist, was schon Chamisso mythisch erhöhte.

Es wird diskutiert, ob man den Muttertag nicht in „Entbindende-Personen-Tag“ oder in „Elternteiltag“ gendergerecht umbenennen sollte. Eine derartige Diskussion braucht niemand, so die Mehrheitsmeinung. Daher liegt eine Abschaffung des Muttertages nahe, aber der Kommerz wird das zu verhindern wissen.

ISUV-Forderung

Aus berechtigten sozialpolitischen Gründen fordert ISUV die Umbenennung des Muttertages in Elterntag. „Mütter und Väter halten durch die Sozialisation und Enkulturation der Kinder die Gesellschaft und den Sozialstaat am Leben. Für diese gemeinnützige Leistung verdienen sie  mehr Respekt und praktische Unterstützung“, fordert die ISUV-Vorsitzende.

Eltern, Trennungseltern müssen steuerlich bessergestellt werden. Erziehungszeiten müssen sich in Renten Anwartschaften niederschlagen. Der Ausbau von Betreuungseinrichtungen und eine entsprechende Kostenstruktur hilft Eltern sich wirtschaftlich unabhängig zu machen, was nach einer Trennung oder Scheidung unabdingbar ist. „Mehr Gerechtigkeit, gleichberechtigte Betreuung und Bezahlung, all das kann jetzt für Trennungseltern ein gerechtes Sorge- und Kindesunterhaltsrecht auf den Weg bringen“, fordert Ulbrich.